Nomen nominandum. Nicht die Anonymität ist das Problem, Herr Friedrich!

Politik

Nach den schrecklichen Taten von Oslo überschlagen sich wieder einmal die Gemüter konservativer Politiker. Nach Meinung von CSU-Mann Uhl sei diese Tat im Internet geboren, weil sich der Attentäter dort mit Argumenten für sein krudes Weltbild versorgt haben soll. Innenminister Friedrich fordert nun sogar ein Ende der vermeintlichen Anonymität im Internet. Während Norwegens Ministerpräsident auf die Tragödie besonnen reagierte und mehr Offenheit und mehr Demokratie forderte, reagieren hierzulande Konservative mit Anschlägen auf die Freiheit leider immer wieder mit der Forderung unsere Freiheit weiter einzuschränken. Dies ist ein fataler Weg.

Eigentlich sollte Herrn Friedrich die Rechtslage in Deutschland bekannt sein. Hier gibt es bereits eine Impressumspflicht, die jeden, der auch nur ein bisschen mehr als private Platitüden ins Netz stellt zur Angabe einer ladungsfähigen Adresse verpflichtet. Des Weiteren ist die Klarnamenpflicht nur durchsetzbar, wenn wir uns an China, Nordkorea und dem Iran orientieren und ein staatliches Internet aufbauen. In den großen Social Networks wie Facebook oder Google+ findet eine anonyme Debatte überhaupt nicht statt. Selbst diejenigen, die dort mit Pseudoynmen unterwegs sind, kann man in der Regel eindeutig identifizieren.
Die Verwendung von Pseudonymen im Internet ist so alt wie das Internet selbst und es gibt viele gute Gründe, sich nicht immer mit seinem Klarnamen zu erkennen zu geben. Wer möchte schon in einem Gesundheitsforum der ganzen Welt erklären, dass er unter einer seltenen Hautkrankheit leidet? Welche Eltern wollen schon, dass ihre Kinder in Chats für alle erkennbar sind? Ich kenne Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind und sich auf ihren Internetblogs im Schutz der Anonymität über ihre Gefühle austauschen und denen diese Form der Aufarbeitung der schrecklichen Taten geholfen hat. Von denen will Herr Friedrich nun verlangen, dass sie sich nun einen anderen Weg der Aufarbeitung suchen? Es gibt auch außerhalb des Netzes gute Gründe, weshalb man unter Pseudonymen agiert. Willy Brandt dürfte da das prominenteste Beispiel sein. Und was sollen wir den von staatlicher Verfolgung bedrohten arabischen Freiheitskämpfern sagen, deren einzige Möglichkeit zur Vernetzung die anonyme Kommunikation über Twitter ist?
Ich halte diese Vorstöße für gefährliche Profilierungsversuche. Aber ebenso falsch wäre es, die Augen vor der Realität zu verschließen. Natürlich gibt es im Internet radikale, menschenverachtende und gewaltverherrlichende Inhalte. Das Internet ist für viele Menschen eine Erweiterung des Lebensraums, warum sollte es hier also anders sein, als in den Hinterzimmern irgendwelcher Kneipen?
Was wir brauchen, ist eine Debatte darüber, wie wir die grassierende Kultur des achselzuckenden Wegschauens überwinden. Wir alle treffen immer wieder auf mehr oder weniger seltsame Beiträge, z. B. in Kommentaren unter Artikeln in Tageszeitungen. Da ist es dann wie bei blöden Sprüchen in der U-Bahn. Zu häufig hört man weg oder überliest dies einfach. Ich sehe in erster Linie keinen gesetzlichen Handlungsbedarf, eher einen individuellen, mit dem wir unsere gemeinsamen Werte verteidigen. Da sind zum einem die unveräußerlichen, universellen Menschenrechte zu nennen und häufig einfach die guten Regeln von Anstand und Höflichkeit. Hier ist in erster Linie nicht der Staat gefragt, sondern die Nutzer sind in der Pflicht, die Verfasser auf ihr Verhalten hinzuweisen oder im Zweifelsfall solche Beiträge auch zu melden.

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