Löschen statt sperren!

Politik

Heute hab ich mir im Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestags die Expertenanhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zum Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen angeschaut. Das Gesetzesvorhaben hat zum Ziel, die Verbreitung von Kinderpornographie in Deutschland einzudämmen. Dem ständig zusammenbrechenden Stream zu Folge, dürfte dies die bisher meistgeschaute Übertragung gewesen sein. Bereits seit dem 22.04. läuft die ePetition gegen diesen Gesetzesentwurf. Am Ende der Zeichnungsfrist am 16.06. dürften über 100.000 Menschen diese Petition unterzeichnet haben. Das Frau von der Leyen die Kritiker weiter öffentlich diskreditiert, indem sie ihnen mittelbare Unterstützung beim Missbrauch von Kindern vorwirft, ist mehr als schlechter Stil. Es zeigt, wie nervös sie mittlerweile geworden sein muss.
Eines ist klar: Die Herstellung, die Verbreitung und auch der Konsum von Kinderpornographie sind perverse Verbrechen. Staat und Gesellschaft sind verpflichtet, dagegen mit allen geeigneten rechtstaatlichen Mitteln vorzugehen. Aber ob der mit dem Gesetzesentwurf vorgeschlagene Weg der Sperrung von Webseiten (noch) rechtstaatlich ist und vor allem ob er ein geeignetes Mittel ist, daran scheiden sich die Geister. Dies wurde auch während der Expertenanhörung wieder deutlich.
Ich habe versucht, einfach ein paar der Argumente für mich zu notieren: Begründet wird die Regelung vor allem mit ihrem präventiven Charakter. Es ginge darum, potenzielle Konsumenten vom Abruf fernzuhalten und einen Vertriebskanal trockenzulegen. Ob dies durch das Access-Blocking funktioniere war eine der Fragen. Während Herr Maurer vom BKA die Wirksamkeit der Regelung annimmt und die Zusammenarbeit mit den Providern wunderbar laufe und mit der Regelung jetzt eine Lücke geschlossen werde, müsste sie laut Professor Sieber vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht viel bestimmter gemacht werden. Es besteht die Gefahr, das zufällige Aufrufe von bedenklichen Seiten kriminalisiert werden. Er hält die jetzige Regelung für verfassungswidrig. Da laut Herrn Bäcker von der Uni Mannheim der Bund hier eigentlich nicht regeln kann, sei auch aus seiner Sicht das Gesetz verfassungswidrig. Ferner enthält der Gesetzesentwurf seiner Meinung nach jede Menge handwerklicher Mängel.
Ein weiterer Themenkomplex ist das Thema Datenschutz. Sämtliche Zugriffe werden festgehalten. Der BKA-Vertreter ging sogar so weit, dass er behauptete, bereits der Versuch der Umgehung der Sperre (z.B. über einen anderen DNS-Server) sei verdachtsverschärfend. In Vertretung für den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar, gibt sein Vertreter Herr Müller zu bedenken, dass die Datenweitergabe rechtlich in Zukunft theoretisch möglich sei, da die Gesetzgrundlage zur Datenverwendung fehlt.
Weitere Wortbeiträge lassen sich aus dem Twitter-Protokoll von Jan Jasper Kosok für „der Freitag“ entnehmen.
Ich glaube, hier wird ein Thema missbraucht, das konsensfähig ist. Es geht um den Einstieg in eine mit einer freiheitlichen Grundordnung nicht zu vereinbarende Überwachung des Internets. Es droht mit den aktuellen Vorschlägen zur Einführung von Internetsperrlisten der Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur. Sie sind rechtsstaatlich und technisch unverantwortlich und löschen keine einzige Seite. Aus meiner Sicht muss Ursula von der Leyen endlich zeigen, wie sie Kinderpornografie im Internet wirksam bekämpfen will, wie Opfer Unterstützung erhalten und Täter konsequent verfolgt werden können. Es muss darum gehen, dass Seiten mit kinderpornografischen Inhalten aus dem Internet verschwinden. Die Erschwerung des Zugangs hilft keinem weiter.
Das dies möglich ist, zeigt eine aktuelle Aktion von Alvar Freude, mit dem ich mich auch über dieses Thema länger auf dem Politcamp unterhalten habe. Er analysierte mit automatischen Verfahren die diversen europäischen Sperrlisten und schrieb die Provider an, auf deren Servern sich laut der Listen kinderpornographisches Material befinden soll. Mit beeindruckender Resonanz: Innerhalb der ersten 12 Stunden nach Aussenden der Mails wurden bereits 60 Webauftritte gelöscht.
Löschen statt sperren sollte die Antwort lauten. Es gibt keinen sachlichen Grund, strafbare Inhalte im Netz zu belassen und sie für alle einschlägig Interessierten mit minimalem Aufwand weiterhin zugänglich zu halten.
Update: Nach der Anhörung fordert die SPD-Bundestagsfraktion grundlegende Änderungen an dem Gesetzentwurf. Insbesondere soll das BKA zunächst die Host-Provider kontaktieren, damit die Seiten gelöscht werden. Erst wenn das erfolglos bleibt, soll die Seite auf die Sperrliste gesetzt werden dürfen. Für die Liste soll es eine richterliche Kontrolle geben, die anfallenden Zugriffsdaten sollen nicht für die Strafverfolgung genutzt werden dürfen und es soll jetzt ein Spezialgesetz geben. Damit soll verhindert werden, dass die Sperrung auch auf andere Tatbestände ausgedehnt werden kann.

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